Ende der fiktiven Abrechnung auch beim Verkehrsunfall?
Nach der bislang gültigen Gesetzeslage und der darauf basierenden Rechtsprechung hat der Geschädigte die Wahl, den Schaden an seinem Fahrzeug konkret oder fiktiv abzurechnen, § 249 Abs. 2 BGB. Konkrete Abrechnung bedeutet, dass dem Schädiger bzw. der dahinter stehenden Haftpflichtversicherung eine Reparaturkostenrechnung über die Instandsetzung des Schadens vorgelegt wird. Bei der fiktiven Abrechnung, auch Abrechnung auf Gutachtenbasis genannt, wird das Fahrzeug nicht, nicht nach Maßgabe des Sachverständigengutachtens ( beispielsweise durch gebrauchte Ersatzteile ) oder nicht gegen Rechnung ( beispielsweise in Eigenregie ) instand gesetzt. Das führt regelmäßig zu dem Ergebnis, dass der Geschädigte vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung deutlich mehr an Schadensersatz ausbezahlt bekommt, als er für die Instandsetzung des Schadens an seinem Fahrzeug tatsächlich aufgewendet hat. Diese ganz legale Abrechnungsweise bietet allerdings auch die Grundlage für Versicherungsbetrügereien durch manipulierte Verkehrsunfälle.
Nun hat der BGH diese sog. “Überkompensation” jedenfalls für den Bereich des Werkvertragsrechts abgeschafft. In seinem Urteil vom 22. Februar 2018, Az. VII ZR 46/17, hat der 7. Zivilsenat unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung einen Anspruch des Geschädigten auf fiktive Abrechnung seiner Mängelbeseitigungskosten ausgeschlossen und ihn stattdessen auf andere Formen der Geltendmachung seines Schadens verwiesen. Hierzu verweist der BGH auf die Möglichkeit einer Vermögensbilanz ( also Differenz ) zwischen dem Wert der Sache in unbeschädigtem und in beschädigtem Zustand, auf die Möglichkeit der Minderung des Werklohns oder die Möglichkeit der Vorschussforderung für die Reparaturkosten hin.
Der Senat hat zwar ausdrücklich nur für den Bereich des Werkvertragsrechts entschieden. Dennoch kann diese Rechtsprechung auch auf jeden anderen Schadensersatzanspruch durchschlagen. Erste Versuche, die fiktive Abrechnung im Verkehrsunfallschadensrecht abzuschaffen, sind bereits umgesetzt. Die 23. Zivilkammer der LG Darmstadt ist der Auffassung, das im Urteil des BGH enthaltene Verbot der fiktiven Abrechnung sei auch auf andere, nicht im Werkvertragsrecht beruhende Schadensersatzansprüche, insbesondere auf den Ersatz von Schäden aus einem Verkehrsunfall, anzuwenden. Zur Begründung wird unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien zu § 249 BGB ausgeführt, in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sei nicht die Möglichkeit der fiktiven Abrechnung eröffnet, sondern dem Geschädigten nur die Wahl gegeben worden, statt der Wiederherstellung der Sache den dafür erforderlichen Geldbetrag zu verlangen. Dazu bedürfe es nicht zwingend der fiktiven Abrechnung. Der Schädiger könne seinen Schaden auch anhand einer Vermögensbilanz nachweisen oder einen Vorschussbetrag in Höhe der zu erwartenden Reparaturkosten geltend machen.
Ob diese Rechtsauffassung des LG Darmstadt Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Derzeit befasst sich der 22. Zivilsenat des OLG Frankfurt -Zivilsenate in Darmstadt- mit dieser Frage. Sollte sich der Senat der Auffassung des LG Darmstadt anschließen, dürfte die Zulassung der Revision erfolgen, so dass am Ende der BGH Klarheit zu schaffen hat. Wie der BGH entscheiden wird, ist offen. Sicher dürfte jedoch sein, dass in nächster Zeit vermehrt die Gerichte mit der Rechtsauffassung des LG Darmstadt konfrontiert sein werden, da dessen Entscheidung nicht nur die Überkompensation abschafft, sondern auch dem Versicherungsbetrug durch manipulierte und fiktiv abgerechnete Verkehrsunfälle die Basis entzieht.